Ausschnitt aus einem Foto „Hochradfreunde“ aus dem Radsport-Archiv Manfred Marr, Nürnberg.
Carl Marschütz (1863 – 1957) war für die Fahrradindustrie in Nordbayern von ganz
außerordentlicher Bedeutung und bedarf deshalb einer besonderen Würdigung:
Marschütz, der am 4. Sept. 1863 als Sohn eines jüdischen Dorfschullehrers in Burghaslach/Mfr. zur Welt kam, besuchte zunächst die Realschule in Fürth.
1877 wurde er von seinen Eltern nach Neumarkt/OPf. geschickt, um in der Kochherdfabrik und Eisenwarenhandlung „S. Goldschmidt & Sohn“
eine kaufmännische Lehre zu absolvieren. In dieser Zeit soll er erstmals mit Fahrrädern in Kontakt gekommen und sofort hellauf begeistert gewesen sein.
1882 begegnete er auf der 1. Bayerischen Landesausstellung in Nürnberg dem Mechaniker Eduard Pirzer, der dort zwei Hochräder ausstellte
und ebenfalls ein Fahrrad-Enthusiast war. Marschütz brachte Pirzer als Techniker, und seine Lehrherren, die Brüder Joseph und Adolf
Goldschmidt als Geldgeber, zusammen und 1884 wurde die Velocipedfabrik Goldschmidt & Pirzer in Neumarkt/OPf. gegründet.
Da England damals die führende europäische Nation in Sachen Fahrradtechnik und -entwicklung war, holte man sich zum Aufbau der Fabrik
englische Fachkräfte nach Neumarkt. Marschütz, ein fahrradbegeisterter, cleverer junger Mann, war mittendrin, lernte Englisch und bekam
hautnah mit, wie man die Produktion zum Laufen brachte.
Dass Marschütz sich auch mit der Fahrradtechnik befasste, belegt die Tatsache, dass er schon Anfang 1885,
also mit noch nicht mal 22 Jahren, sein erstes Patent bekam, und zwar auf ein „Bremsschloß für Bicycles“.
Als der Aufbau der Fabrik in Neumarkt geschafft war, wurde Marschütz Chef der Nürnberger Niederlassung,
die in der Bauerngasse 1 im Stadtteil Gostenhof errichtet worden war.
Aber Marschütz hatte weitergehende Ambitionen. 1886, im Alter von 23 Jahren, eröffnete er im April zunächst ein Velocipedlager
(also einen Fahrradhandel) in der Gostenhofer Hauptstr. 35 und im November dann die „Nürnberger Velociped-Fabrik Carl Marschütz & Co.“
in der Bleichstraße 10a, am Rosenaupark. Das Comptoir (Büro) befand sich in der Rosenaustr. 5.
Das Inserat zeigt links ein sog. Kangaroo, eine Konstruktion, die den Übergang von den unfallträchtigen Hochrädern zu den Nieder-
oder Sicherheitsrädern (engl. Safeties) markierte. Das Vorderrad war mit 90 – 100 cm Durchmesser deutlich kleiner als bei einem
Hochrad, das Hinterrad mit ca. 50 cm deutlich größer. Bewegt wurde das Kangaroo über zwei Kettengetriebe am Vorderrad.
An Selbstbewusstsein mangelte es Marschütz offensichtlich nicht, er textete: „Als eine unübertroffene Neuheit
empfehle ich mein Rapid-Bicycle, welches an Eleganz und Stabilität alles dagewesene übertrifft.“
Ein dreiviertel Jahr später zierte bereits ein Niederrad Marschütz‘ Werbung. Die geschwungene Rahmenform wurde bald durch
sog. Kreuzrahmen abgelöst, und diese wiederum durch den heute noch gebräuchlichen Diamantrahmen.
Wie damals allgemein üblich bot auch Marschütz Unterricht im Radfahren an: „Wir erwähnen noch, daß wir in einem großen
geschlossenen Raume eine Fahrschule für Fahrer jeden Alters eingerichtet haben und der Unterricht nach Belieben stattfinden kann.“
Im November 1894 bezog die Nürnberger Velocipedfabrik Carl Marschütz & Co. ihre neue Fabrik an der Fürther Straße 191 in Nürnberg.
1897 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft (Kapital 1 Million Mark) umgewandelt und firmierte
nun als „Nürnberger Velocipedfabrik Hercules Aktiengesellschaft vorm. Carl Marschütz & Co.“
1898 präsentierte Hercules sein erstes Automobil, einen elektrisch angetriebenen viersitzigen Personenwagen, die Elektro-Chaise.
Mehr zu Carl Marschütz in meinem im Juli 2018 erschienenen Buch:
Von der „Velocipedfabrik Carl Marschütz & Co.“ zur „Nürnberger Hercules-Werke AG“
Die ersten zwanzig Jahre von 1886 bis 1905.
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